
Manche Lerncoachings entwickeln sich ganz anders als gedacht - und genau das macht es so spannend. Eine überraschende Kehrtwende (für die Coachee) ereignete sich bei einem Unternehmens-Coaching.
Melanie trat an mich heran, da ihr Unternehmen ihr ein Lerncoaching ermöglichen möchte. Sie brauche sehr gute Englisch-Kenntnisse für eine neue Position und stoße immer wieder an ihre Grenzen. Ob ich sie in Sachen bessere Lernstrategien unterstützen könne.
Klar, kann ich. Und wurde selbst etwas überrascht von der Wende, die das Coaching nahm.
Ausgangssituation - Wunsch nach besseren Lernstrategien
Melanie arbeitet in einem Unternehmen, das nach und nach auf englisch als Arbeits-Sprache umstellt, da die Internationalisierung zunimmt. Den Mitarbeitenden werden nahezu flächendeckend Englisch Kurse mit Schwerpunkt Konversation angeboten, die auch Melanie dankend annimmt. Die Kurse gefallen ihr sehr gut, die Trainerin ist fachlich top und menschlich unglaublich einfühlsam und wertschätzend. Hier kommt Melanie immer wieder gerne aus ihrer Komfortzone heraus.
Und trotzdem klappt es dann in der Umsetzung im Alltag einfach nicht. Melanie stellt fest, dass sie in englischen Meetings oder Telefonaten immer wieder um mindestens zwei Stufen in ihrer Englisch-Kompetenz zurückfällt. Grammatik und Wortschatz, die im Training noch so locker über ihre Lippen kamen, sind wie weggeblasen.
Das Unternehmen erkennt, dass hier eine individuelle Unterstützung notwendig ist und gewährt ihr Lerncoaching. Es möchte Melanie unbedingt fördern, denn sie bringt genau die fachlichen und sozialen Kompetenzen mit, die sie für die neue Position braucht. Wenn da nur dieses verflixte Englisch nicht wäre ... .
Neues Ziel nach intensivem Nachfragen
Melanie kommt mit einem klaren Anliegen ins Lerncoaching: sie möchte bessere Lernstrategien erlernen, die ihr helfen, im Alltag eloquenter englisch zu sprechen - eben genau so, wie es ihr im Englisch-Training schon gelingt. Doch ganz schnell wurde klar, dass eine Verbesserung nicht auf der lernmethodischen Ebene zu finden ist.
Im Gespräch arbeiteten wir heraus, dass es nicht um Merktechniken oder Wiederholungsvarianten geht, sondern letztlich um Stress-Reduktion und Spontaneitäts-Training. Denn all das Gelernte kommt im inneren Dialog und bei ihrer Englisch-Trainerin ganz wunderbar zur Anwendung. Nur wenn sie spontan sprechen soll, fällt sie in ihr relativ begrenztes Schulenglisch zurück. Das Spontane verursacht Stress und der wiederum, dass sie auf neu gelernten Wortschatz und Grammatik einfach nicht zugreifen kann.
So wurde das neue Ziel formuliert: "Spontan und flexibel auf das Gelernte zugreifen können".
Interventionen
Wir fokussierten unsere Arbeit im Coaching auf drei Aspekte:
- Glaubenssatz-Arbeit
- Stressmanagement
- Flexibilitätstraining
Glaubenssatzarbeit:
Zuerst identifizierten wir relevante Glaubenssätze, die Melanie zu diesem Thema entwickelt hat: "ich muss perfekt sprechen", "Schulenglisch ist beschämend" und "ich werde fachlich nicht ernst genommen, wenn ich nicht gut englisch spreche".
Zunächst fand Melanie passende Erlaubnissätze, wie z.B. "ich darf Fehler machen!" und verankerte diese mit einer etwas ungewöhnlichen Embodiment-Methode. Zudem entwickelte sie eine innere Affirmation, das diese Erlaubnissätze immer wieder präsent machen.
Stressmanagement:
Da sehr schnell klar wurde, dass Stress zu einer Einschränkung ihrer Englisch-Fähigkeiten führte, arbeiteten wir auch daran, gut mit akutem Stress umgehen zu können, bzw. ihn erst gar nicht entstehen zu lassen. Zwei wesentliche Wirkfaktoren waren Atemtechniken und eine Verlangsamung des Gesprächtskontextes (kurze Pausen vor Antworten ...).
Flexibilitäts-Training
Um das Spontane und Flexible auch außerhalb des English-Trainings noch mehr üben zu können, wählte Melanie einen noch eher unüblichen Weg. Sie nutzt ChatGPT und ein spezielles englisches AI-Konversations-Tool (Learna AI), um immer besser und schneller auf neue Themen reagieren zu können.
Für Melanie war wichtig, dass sie diese spontanen Konversationen jederzeit und v.a. zunächst ohne ein menschliches Gegenüber tun kann. Eine "Maschine" als Gesprächspartner verursacht deutlich weniger Druck und so wurde nach und nach das Spontane vom Stress entkoppelt.
Nach 4 Sitzungen fühlte sich Melanie sicherer, dies wiederum führte zu einer deutlichen Verbesserung und dies wieder machte sie sicherer usw. Nach wie vor bekommt Melanie das Englisch-Training, das jetzt noch viel besser fruchten kann.
Erkenntnis: Fragen, fragen, fragen
Das Beispiel zeigt ganz deutlich, wie wichtig es ist, dass Anliegen von Coachees hinterfragt werden - mit der Vielschichtigkeit von Lernerfolg im Hinterkopf. Hätten wir uns auf Gedächtnistechniken oder Anwendungsstrategien fokussiert, hätte das Coaching mit Sicherheit nicht diesen Erfolg gehabt.
Und das Beispiel zeigt auch, dass sich inhaltliches Lernen bzw. Lehren und Lerncoaching ganz wunderbar ergänzen.
In eigener Sache ...
💡 Dieser Artikel ist der Auftakt einer neuen Reihe "Lerncoaching Geschichten". Sie sollen das Thema Lerncoaching all denen, die nur wenig Vorstellung von dieser ganz besonderen Art des Coachings haben, näher bringen.
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