
"Jetzt muss ich nicht nur um um 5 Uhr aufstehen, um zu schreiben, Sport zu machen oder nachzudenken, sondern auch noch eine Abendroutine entwickeln?" denkst du vielleicht.
Nein, du "musst" gar nichts ... nur in Phasen, wo du viel zu lernen hast oder viele neue Eindrücke tagsüber auf dich einprasseln, kannst du es dir mit einer bewussten Abendgestaltung einfach leichter machen.
Was passiert nachts im Gehirn?
Wenn wir lernen, geschieht ein nicht zu unterschätzender Teil der eigentlichen Speicherung nicht während des aktiven Lernens oder Anwendens - sondern nachts, während wir schlafen. Besonders der Tiefschlaf spielt dabei eine entscheidende Rolle.
Beim Lernen entsteht neues Wissen zunächst im Hippokampus, dem „Arbeitsspeicher“ unseres Gehirns. Doch um langfristig abrufbar zu bleiben, muss dieses Wissen vom Hippokampus ins Langzeitgedächtnis übertragen werden. Dieser Prozess passiert vor allem im Tiefschlaf. Dort werden Informationen sortiert, eingeordnet und mit bestehendem Wissen verknüpft - ähnlich wie ein Bibliothekar neue Bücher richtig einsortiert.
Übrigens: Je strukturierter du tagsüber lernst, desto leichter fällt deinem Gehirn nachts die Einordnung. Der Tiefschlaf ist die zentrale Phase dafür - und der lässt sich beeinflussen.
Was stört die Tiefschlaf-Phase?
Es gibt einige Störquellen, die man bei der Entwicklung einer guten Abendroutine berücksichtigen kann. Alkohol reduziert den Anteil an Tiefschlaf deutlich, selbst in kleinen Mengen. Das Gläschen Wein am Abend vorm Schlafengehen kannst du also in Zeiten, wo das Gehirn viel zu verarbeiten hat, durch ein anderes leckeres Getränk ersetzen.
Wer denkt, wenn Schlaf so wichtig ist, besorge ich mir in der Apotheke ein leichtes Schlafmittel, dann tue ich mir was Gutes, liegt leider falsch. Denn auch rezeptfreie Schlafmittel beeinflussen die natürliche Schlafqualität negativ.
Zu viele neue Reize besonders am Abend (aber auch über den Tag), wie z.B. neue Serien, Scrollen durch Social Media oder aufwühlende und interessante Gespräche, halten dein Gehirn in einem aktiven Zustand, der das „Runterfahren“ verhindert. Mir geht es z.B. oft an Abenden von Tagungen so: der Kopf ist voll, Gesprächsfetzen geistern durchs Hirn, Bilder tauchen auf, interessante Impulse halten mich gerne auch nachts auf Trab.
Inspirationen für eine passende Abendroutine
Routinen geben dem Gehirn grundsätzlich Sicherheit. Daher ist ein gewohnter Ablauf gerade vor dem Schlafengehen so wirkungsvoll. Je vorhersehbarer der Abend ist, desto leichter kommt das Gehirn zur Ruhe. Darauf kannst du bei der Gestaltung deiner Abendroutine achten:
Bewusst (schreibend) enden – kein „offenes Lernen“
Der Zeigarnik-Effekt beschreibt die Tendenz, sich an unerledigte Aufgaben besser zu erinnern. Leider bedeutet das auch: Offene Lerneinheiten halten dich gedanklich wach. Beende deinen Lerntag mit einer klaren Reflexion – z. B. einem kurzen Lerntagebuch-Eintrag, einer Zusammenfassung und einer Lern-To-Do Liste für den morgigen Tag.
Abendspaziergang statt Bildschirmzeit
20 Minuten frische Luft am Abend helfen Stresshormone abzubauen und die innere Uhr zu regulieren. Außerdem reduzierst du damit Kunstlicht, das die Melatoninproduktion (Schlafhormon) hemmt. Dies ist neben einer kurzen Yoga Einheit für mich die wirkungsvollste Methode.
Spielen, puzzlen, lesen – ohne Bildschirm
Analoge Aktivitäten beruhigen den Geist und fördern eine leichte, unterhaltsame, kreative Gehirnaktivität. So bleibt dein Hippokampus aktiv, ohne überfordert zu werden.
Aufräumen, sortieren ...
Eine Methode aus dem Konzept von Embodied Cognition ist das Schaffen von innerer Ordnung durch Aufräumen im außen. Socken sortieren, Küche aufräumen oder eine Schublade sortieren, bringen Klarheit im Kopf - mit tollem Nebeneffekt :-).
Beruhigendes bringt dein Nervensystem zur Ruhe
(Yin) Yoga Einheiten helfen enorm, Körper und Geist herunter zu fahren. Apps wie z.B. DownDog führen dich ganz wunderbar durch die Übungen. Auch Meditationen (z.B. mit der App Serenity) oder Atemübungen helfen dem Körper, Spannungen loszulassen. Alle diese Techniken brauchen wenig Zeit und haben einen riesigen Effekt.
30-60min vor dem Schlafengehen aufs Handy verzichten
Genau das ist für viele (mir eingeschlossen) sehr schwer umzusetzen, selbst wenn uns die Vorteile völlig klar sind (Melatoninausschüttung wird durch blaues Licht nicht gestört, keine neuen Reize, keine emotional aufwühlenden Informationen ...). Beginne zunächst mit 5min oder 10min vor dem Schlafengehen - jede Minute zählt, später kannst du die smartphone-freie Zeit nach und nach erhöhen.
Gestalte deine Abendroutine
Ganz nach dem Motto: "die letzte halbe Stunde gehört mir!" kannst du dir eine für dich passende Abendroutine zulegen, z.B.:
- 5min Journaling
- 5min Aufräumen
- 15min Spaziergang
- 5min Atemübung
oder
- 10min Puzzlen
- 10min Yoga
- 5min Schreiben
- 5min Meditation
Es muss nicht für immer jeden Tag die gleiche sein, du kannst durchaus abwechseln, z.B. wochenweise.
Fazit
Den Effekt von gutem Schlaf kann man sehr schnell erleben - für das allgemeine Wohlbefinden und auch für leichtes und erfolgreiches Lernen. Wenn du den Ausklang deiner Abende bewusst gestaltest, gibst du deinem Gehirn die besten Voraussetzungen, neu Gelerntes zu konsolidieren.
Gerade die kleinen Rituale machen einen großen Unterschied. Das heißt aber nicht, dass du das immer tun "musst", jedoch v.a. dann, wenn du viel zu lernen und zu verarbeiten hast.
*Deep Dive:
The Power of Routines (American Psychological Association (APA), 2020)
https://www.apa.org/news/press/releases/stress/2020/routines
Sich etwas zur Gewohnheit machen