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Lernen im klassischen Seminar-Format - ein Auslaufmodell? Oder: wie eine moderne Lernkultur etabliert werden kann.

 

Zu Beginn des Jahres ist wieder eine heiße Phase der Seminarplanungen in den Unternehmen. Immer wieder kommt die typische Anfrage: "Wir würden Ihr Seminar XY gerne in unseren Fortbildungskatalog aufnehmen, bitte senden Sie uns ein paar Terminvorschläge".

 

Wollte ich es mir einfach machen, würde ich sagen: "Klar, hier sind sie". Dann würde ich das Seminar durchführen, die Teilnehmenden wären vermutlich sehr zufrieden und auch die Personalabteilung freut sich, dass sie ihren Mitarbeitenden ein spannendes Thema anbieten konnten.

 

Nur eine Person ist unzufrieden: ich. Warum?

 

Weil es meinem Verständnis, wie Lernen gut und vor allem nachhaltig funktioniert, völlig widerspricht. Daher versuche ich die Bildungsverantwortlichen in den Firmen zu ermuntern, dass sie neue, andere Lernwege ausprobieren.

 

Zunächst zum Ausgangspunkt: 

 

Seminare im klassischen Format:

  • Nicht die Lernenden, sondern die Personalabteilung erstellt das Fortbildungsprogramm (wenn auch oft auf Anregung der Mitarbeitenden).
  • Nicht selten geschieht Lernen "auf Vorrat" ohne ein konkretes Anwendungs-Ziel oder Anlass.
  • Außer dem Seminar aus dem Katalog werden keine zusätzlichen Lernmöglichkeit wahrgenommen oder eingefordert.
  • Inhalte werden nach Seminar-Ende leider nur selten ausreichend umgesetzt.
  • Es gibt immer wieder Teilnehmende, die von ihren Vorgesetzten in das Training geschickt werden (in einem meiner letzten Firmenseminare sind bis auf 2 alle verpflichtet worden, teilzunehmen :-( )

Dieses klassische Format ist noch immer sehr üblich und entspricht einer Lernkultur, wie sie von Grundschule an vorgelebt und praktiziert wird. Sehr schade. Denn sie ist praktisch das Gegenteil von dem, was man aus der Lernforschung weiß, wie Lernen gut und erfolgreich funktioniert.

 

Die große Chance liegt in den Unternehmen, in denen (auch) neue Lernwege schnell und unkompliziert umgesetzt werden können - viele tun dies bereits mit großem Erfolg. 

 

 

Wie kann eine neue Lernkultur in Unternehmen umgesetzt werden?

Das ist immer wieder eine Frage, die mir in diesen Gesprächen gestellt wird. Denn meist ist der Wille zu Veränderung durchaus da, doch zu groß scheint das Projekt zu sein. Dabei ist es das gar nicht.

 

Ich unterscheide ganz klar, zwischen notwendigen Lernzielen, weil ganz spezifische Kompetenzen (z.B. ein bestimmtes Programm, das Bedienen einer Maschine oder professionelle Verkaufsberatung) gebraucht werden. Diese können wie bisher den Mitarbeitenden vorgeschrieben und angeboten werden.

 

Zusätzlich sollten jedoch nach und nach individuelle und v.a. selbst formulierte Lernziele möglich sein und sogar gefordert werden. Mit gutem Beispiel vorangehen könnten z.B. die Führungskräfte. Diese machen die eigenen Ziele ihren Mitarbeitenden transparent - damit werden sie zum Rollenmodell.

 

 

Schrittweises Etablieren von moderner Lernkultur:

1.) Mitarbeitende formulieren Lernziele selbst

Führungskräfte / Mitarbeitende formulieren aktiv und selbstinitiiert individuelle Lern- bzw. Entwicklungsziele. Dabei empfehle ich eine Entkoppelung von den üblichen Jahreszielen. 

 

Lernbegleiter:innen, agile Lerncoaches oder Corporate Learning Professionals (dies können speziell ausgebildete Interne oder auch Externe sein) unterstützen den Prozess, die Ziele zu finden, sie zu formulieren, den Wert für die Lernenden und das Unternehmen festzustellen und sie transparent zu machen.

 

Dies kann auch in Lernziele-Workshops mit anderen stattfinden. Deren Vorgesetzte sollten sich dabei möglichst raushalten. 

 

Aufgabe des Unternehmens ist, Lernzeit zur Verfügung zu stellen. Z.B. 5-10% der regulären Arbeitszeit. Lernen darf nicht als Add On verstanden werden sondern immer als Teil der Arbeit, der sich auszahlt!

 

 

2.) Es wird eine Learning Map erstellt

Auch im weiteren Verlauf der Lernreise werden die Mitarbeitenden durch Learning Pros unterstützt: z.B. bei den Überlegungen, WIE die Ziele erreicht werden, welche Wege also eingeschlagen werden.

 

 

3) Ein Seminar ist immer nur ein Teil der Lernmöglichkeiten

Ein Seminar kann niemals alleiniger Bestandteil der Lernreise sein. Oder anders gesagt: Wäre das Thema ein Briefumschlag, dann ist das Seminar dazu immer nur die Briefmarke :-).

 

Weitere Lernmöglichkeiten sind z.B.:

  • Informelle Gespräche mit anderen 
  • Interviews mit Experten 
  • Profis on the job beobachten
  • Know-How Mentoren finden
  • Tutorials / Videos / Podcasts
  • Bücher / Blogs
  • sich in Lern-Communities austauschen
  • Tagungen, Kongresse, Veranstaltungen besuchen
  • ...

 

4) In Boxenstopps das Fortschreiten reflektieren

Zusammen mit den Learning Pros werden die Stationen der Lernreise geplant und immer wieder ein Boxenstopp eingelegt, um festzuhalten, ob die Reise voranschreitet. Auch welche Umwege gegangen wurden und wie sinnvoll diese waren. Oder welche Quellen genutzt wurden und wie nützlich diese waren. Usw.

 

 

5) Lernzirkel (auch) teamübergreifend bilden 

Idealerweise werden Lernzirkel gebildet, wo sich Lernende (auch mit ganz unterschiedlichen Themen) gegenseitig zum Fortschritt auf dem Laufenden halten. Das schafft Verbindlichkeit und Motivation.

 

 

6) Immer das große Ganze im Blick behalten

Die einzelnen Lern-Mosaik-Steine werden kontinuierlich zu einem Ganzen zusammengefügt und später erweitert. Dabei wird überlegt, welche Infos, Kompetenzen oder Fähigkeiten gut zusammenpassen, sich gegenseitig bedingen oder auch widersprechen. 

 

 

7) Umsetzung ist wesentlicher Teil des Lernens

Und schließlich gehört zur Lernreise auch die sofortige Umsetzung und Anwendung - noch während des Lernprozesses. Darauf wird viel Wert gelegt und ist mindestens genau so wichtig wie das neu Erlernen.

 

 

 

Zusätzlich könnten folgende Maßnahmen bedacht werden:

 

A) Schicken ist verboten :-)

Unfreiwillige Teilnahme an Seminaren werden untersagt, d.h. kein:e Vorgesetzte:r darf Mitarbeitende in ein Seminar zwingen ... äh ... motivieren, wenn diese es eigentlich nicht möchten.

 

B) Wundertüten-Seminare ausprobieren

Damit man nicht ausschließlich in der eigenen Blase bleibt und immer alles nur auf einen Zweck oder eine Funktion ausgerichtet ist, kann auch ein "Wundertüten-Seminar" etabliert werden.

 

Alle Mitarbeitenden dürfen sich zu einem bestimmten Budget ein Lernnugget aussuchen, das auf den ersten Blick so gar nichts mit der eigenen Arbeits-Welt zu tun hat, z.B. Töpfern oder Meditieren oder eine bestimmte Software erlernen.

 

Nach einer Weile gibt es ein Treffen, auf dem sich die Mitarbeitenden über ihre Wundertüten austauschen und einen Bezug zu ihrer Arbeit oder zum Unternehmen herstellen. Es ist erstaunlich, welch neue Möglichkeiten, Stärken oder Ideen daraus entstehen können!

 

 

Jetzt ist der beste Zeitpunkt für die ersten Schritte in Richtung moderner Lernkultur!

Die o.g. Schritte sind nach meiner Erfahrung relativ einfach und schnell umsetzbar. Diese zu gehen lohnt sich, denn: hinter jeder außergewöhnlichen Entwicklung von Unternehmen stecken viele kleine und große Lernreisen - von Mitarbeitenden und Führungskräften.

 

Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt - warum nicht jetzt diesen ersten tun?

 


 

📍Tipp: im April / Mai 2022 gibt es erstmals das Seminar "Corporate Learning Professional" im Flipped Learning Format (3x 3,5 Stunden Live + Selbstorganisiertes Lernen im Online-Seminarhaus). Alle Infos

  


💡 Hier ist noch ein toller Podcast-Tipp: Das Unternehmen BOSCH hat das Corporate Learning mit den Global Learning Days im Oktober 2021 befeuert. Es waren über 150.000 Teilnehmende in über 500 Sessions dabei. Ein tolles Beispiel für einen Corporate Learning Baustein. Absolut hörenswert!

zum Podcast 


  

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