Irgendwann Anfang des Jahres erwähnte mein geschätzter Kollege Dr. Franz Hütter in einer Veranstaltung, dass ihm das gute Prompten (Fragen an ChatGPT stellen) hilft, Klarheit zu gewinnen. Er nannte dies im Kontext Recherche.
Da kam mir der Gedanke, dass dies doch auch im Coaching sehr gut genutzt werden könnte. Ein paar Wochen später hatte ich die Möglichkeit, dies auszuprobieren. Hier das Praxis-Beispiel.
In dieser Artikel-Serie gehen wir darauf ein, wie wir KI im (Lern)Coaching als Methode nutzen können.
Prompten als Methode für Reflexion und Klarheit
Die Art des Promptes bestimmt den Output - das wissen alle, die sich zumindest rudimentär mit ChatGPT & Co beschäftigt haben. Darüber kann man viel schreiben, mir geht es hier aber um etwas ganz anderes.
Output ist egal
Als ich das Prompten als Methode im LernCoaching ausprobierte, ging es mir bzw. uns gar nicht um das Ergebnis, das hätten wir auch völlig weglassen können. Es geht um den Prozess des Promptens an sich.
Das Anliegen: Motivation fürs Lernen aufbauen
Das war das relativ schwammige Ziel einer Oberstufen-Schülerin. Statt nun den üblichen Zielklärungsprozess zu starten, zückte ich ChatGPT und fragte die Klientin, ob sie Lust hätte, dass wir dazu ChatGPT mal befragen. "Ohja, cool!", war die Antwort.
ChatGPT eine Rolle zuweisen
Ich als Coach habe das Raster von guten Prompts im Kopf, dazu ein Fragen-Repertoire, um alles gut abzuklopfen und natürlich das Hintergrundwissen zum Thema Motivation.
ChatGPT eine Rolle zuweisen:
Ich ermunterte die Klientin zu überlegen, aus welcher Rolle heraus sie Vorschläge gut annehmen könne.
- strenger Ratgeber
- Elternrolle
- Bester Freund
- Allwissender Unterstützer usw.
Klientin wählte "allwissender Unterstützer" und ergänzte, dass er aber für sie sein müsse. Also: "allwissender, für mich parteiischer Unterstützer".
(Anmerkung: alleine durch diesen Dialog erfuhr ich so viel über meine Klientin, wie ich es womöglich sonst nicht hätte. Btw: sie auch über sich selbst!).
Kontext I - Was wird gebraucht?
Für was genau braucht die Klientin Tipps und Unterstützung in Bezug auf Motivation? Durch meine Nachfragen präzisierten wir den Prompt immer mehr.
- Lernen allgemein und immer, oder nur bei bestimmten Fächern oder wenn es ätzender Lernstoff ist oder wenn es schon später am Tag ist oder wenn sie grad in einem absoluten Motivationsloch ist usw.?
- Eher für das Beginnen oder eher für das Dranbleiben oder eher für das Zuendebringen?
- ...
(Anmerkung: aus dem sehr allgemein formulierten Anliegen wurde immer klarer, um was es bei ihr ganz persönlich eigentlich geht: fachunabhängig in Schlechte-Laune-Phasen aus dem Motivationsloch rauskommen und starten können.)
Kontext II - Die Klientin beschreibt sich selbst
Damit ChatGPT etwas Passendes finden kann, ist es gut, dass er die Person ein bisschen besser einschätzen kann.
- braucht sie eher eine klare Struktur, Abläufe, Rituale?
- braucht sie eher Überraschendes, Ungewöhnliches?
- braucht sie etwas Witziges, Cooles?
- braucht sie eher etwas hin-zu- oder eher ein weg-von?
- braucht sie etwas, was sie aktiv tun kann oder eher etwas, was sie sich im Kopf vorstellen kann ...
(Anmerkung: hier haben wir sehr lange darüber gesprochen. Sie hat zum ersten Mal reflektiert, was eigentlich ihre Wünsche sind und was in der Vergangenheit gut funktioniert hat.)
Ergebniswunsch formulieren
Auch wenn das in der Promptlehre nicht empfohlen wird, haben wir trotzdem mit dem begonnen, wie die Ergebnisse nicht sein sollen. In diesem Falle war es: oberlehrerhaft, anstrengend, viel Zeit brauchend ...
Danach formulierte sie einen positiven Ergebniswunsch: 5 Ideen, kurz beschrieben und mit coolen Titeln, auf die sie Lust hat und von denen sie gerne ihren Freundinnen erzählt.
(Anmerkung: bevor wir dann den Prompt abschickten, brachte ich noch eine Art Wette ins Spiel: "meinst du, er wird eine deiner Ideen, die du jetzt selbst im Kopf hast, auch nennen?" Damit wurde sie von mir ermuntert, sich zuerst selbst Gedanken zu machen. Sie nannte eine Idee und wir überlegten einen witzigen Titel.)
Und drückten schließlich auf ENTER.
Das Ergebnis reflektieren
Auch wenn es mir im Coaching v.a. um das Gewinnen von Klarheit durch Prompten ging, haben wir uns das Ergebnis natürlich angeschaut und reflektiert: was passt, was kann gestrichen und welche Idee weiter verfolgt werden usw.
Am Ende sagte sie: "War echt ne coole Stunde!"
Fazit - besser als erwartet!
Nicht erst bei der Verabschiedung merkte ich, dass ChatGPT als methodische Unterstützung hier ganze Arbeit geleistet hat. Es war eine Atmosphäre des gemeinsamen Forschens, Tüftelns und Reflekierens da, die ich als sehr intensiv erlebt habe.
Ist es insgesamt lohnend, ChatGPT im Coaching einzusetzen?
- ChatGPT hat keinerlei "pädagogisches Interesse", er ist völlig neutral ... gerade bei dem Thema Motivation erlebe ich bei Schüler:innen immer wieder, dass diese Neutralität sehr wichtig
ist.
- ChatGPT lässt das Beifahrerhirn (eine Formulierung von Gerald Hüther) anschalten. Der Fokus "ich muss lernen mich zu motivieren" wird zu "ich möchte einen guten Prompt für ChatGPT
schreiben" - und das macht die Klientin offener.
- ChatGPT ist bei fast allen Phasen des Coaching-Prozesses einsetzbar. Ich finde, dass es richtig gut zur Zielformulierungsphase passt.
- Arbeit im Coaching mit ChatGPT ist noch ungewöhnlich. Und wir wissen, dass das Ungewöhnliche ein Öffner für Hirn und Herz ist. Das können wir im Coaching sehr gut gebrauchen. Nur dürfen wir
es nicht abnutzen, also nicht ständig und überall einsetzen.
- Ohne Coach mit all dem Fragerepertoire und der Expertise rund um das Thema (hier Motivation), ist es aus meiner Sicht nicht halb so sinnvoll.
Also: ein klares JA - denn es schafft prompt Klarheit!
👓 Folgende Artikel erschienen bereits in dieser Serie:
👉🏼 Interesse an einer Lerncoach-Ausbildung im offenen Programm oder inhouse? KI Nutzung ist mittlerweile Bestandteil in beiden Ausbildungsvarianten.
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