· 

Beifahrer-Hirn mit Hilfe von Spielen aktivieren!

Vielleicht kennst Du so eine ähnliche Situation? Du hast z.B. deine Französisch-Kenntnisse gerade wieder aufgefrischt. Doch so richtig zufrieden bist Du mit der Entwicklung noch nicht. Jeder Satz erfordert höchste Aufmerksamkeit und Konzentration, es geht nicht so locker, wie Du es Dir eigentlich wünschst.

 

Bis zu dem Abend, als Du mit deinen Mitlernenden bei einem gemütlichen Essen zusammensitzt und jemand das „Black Stories-Spiel“ auspackt (das sind kleine Ratekrimis, bei denen die Gruppe Fragen stellt, die nur mit ja oder nein beantwortet werden dürfen). Ihr spielt es auf französisch (ja, die gibt es auch auf englisch oder französisch!). Und am nächsten Morgen merkst Du, dass Du an diesem einen Abend eine enorme Entwicklung hinsichtlich deiner Französisch-Kenntnisse gemacht hast. Warum ist das so?

 

Dass Spielen gerade im Trainings-, Seminar- und Lernkontext ein ganz wesentliches Element für einen nachhaltigen Wissenstransfer und Kompetenzerwerb ist, ist mittlerweile hinlänglich bekannt. Auf spielerische Art und Weise werden ...

  • ... neue Inhalte erarbeitet,
  • ... Lernstoff vertieft und
  • ... Themen mit viel Freude wiederholt und gefestigt.

Spielen und das Konzept der vier Kompetenz-Stufen

Ich möchte hier einen oftmals wenig beachteten Aspekt herausgreifen und etwas näher beleuchten. Dazu holen wir das ebenfalls gut bekannte Konzept der vierstufigen Kompetenz-Entwicklung: beginnend bei der unbewussten Inkompetenz (ich weiß oder merke gar nicht, dass ich etwas nicht kann) über - meist durch Erkenntnis - bewusste Inkompetenz (ich weiß oder merke, dass ich etwas nicht kann) zur bewussten Kompetenz - meist durch Training, Schulung, Coaching.

 

In diesem Stadium der bewussten Kompetenz brauche ich all meine Aufmerksamkeits-Chunks, um die neu erlernten Fähigkeiten umsetzen zu können. Dabei bin ich hochkonzentriert und wende das gelernte Wissen mit hoher Bewusstheit an. Diese Fokussierung führt oft dazu, dass sich so mancher Entwicklungsprozess verlangsamt und ein hoher Energieaufwand (im Gehirn) für die Bewältigung der Aufgaben notwendig ist.

 

Kompetenzerwerb am Beispiel Fremdsprache

Kehren wir an dieser Stelle zu unserem eingangs geschilderten Beispiel zurück. Angenommen, ich fahre nach Frankreich und sage mir, dass ich sprachlich da bestimmt gut durchkomme, weil ich in der Schule ja über vier Jahre französisch hatte (unbewusste Inkompetenz). Blöderweise muss ich dann vor Ort feststellen, dass mir viele Worte fehlen, ich mich sehr schlecht ausdrücken kann und kaum etwas verstehe (bewusste Inkompetenz). Zurück in Deutschland melde ich mich bei einem Französisch-Kurs an. Im Laufe der Wochen kann ich feststellen, wie mein Vokabular immer vielfältiger und die Grammatik immer besser wird. Doch noch immer überlege ich die meisten Formulierungen vorab, tue mir sehr schwer ganz spontan zu antworten oder gar etwas komplexere Gespräche zu führen ohne Denkpausen zu haben (bewusste Kompetenz). Diese - auch oder gerade in Sprachen - so wichtige Schwelle, dass man einfach redet, antwortet, Gespräche führt ohne groß nachzudenken, von dieser bleibe ich noch weit entfernt. Der Übergang von bewusster zu unbewusster Kompetenz wird durch stetiges Training, viel Übung und regelmäßige Anwendung ermöglicht.

 

Spielen verrückt die Aufmerksamkeit

Und genau hier kommt das Spielen ins Spiel :-). Denn dieser Übergang kann durch das Spielen um ein Vielfaches beschleunigt werden. Die unbewusste Kompetenz zeichnet sich dadurch aus, dass die volle Aufmerksamkeit und die Bewusstheit eben nicht mehr auf die Aufgabe gerichtet ist, sondern sie sozusagen nebenher erledigt wird. Wir reden in einer Fremdsprache über Themen, über die wir gerade nachdenken und die uns wichtig sind, aber wir denken dabei nicht über Vokabeln oder Grammatik nach. Beim Autofahren auf unbewusster Kompetenzstufe fahren wir wie ein Autopilot usw. 

 

Normalerweise würden wir sagen, dass das Verschieben der Bewusstheit (weg von der eigentlichen Aufgabe) hin zu anderen Tätigkeiten die Folge davon ist, dass wir eine neue Routine, ein Muster, eine Gewohnheit aufgebaut haben. Wenn es uns jedoch schon vorher gelingt, die Bewusstheit, also die Aufmerksamkeit, von der Aufgabe abzuziehen, dann kommen wir viel schneller in die Phase der unbewussten Kompetenz als durch reines Üben. Durch Spielen schalten wir das Beifahrer-Hirn (so bezeichnet von dem Neurobiologen Gerald Hüther) und steigern unsere Kompetenz-Erfahrungen.

 

Black Stories und das Beifahrer-Hirn

Wenn ich auf englisch oder französisch ein Spiel spiele, dann ist meine Aufmerksamkeit auf das Spiel gerichtet, die Sprache dazu ist in den Hintergrund gerückt und entwickelt sich an dieser Stelle exponenziell. Black Stories zu lösen auf französisch trainiert auf sehr subtile Art meine Sprachkenntnisse. Wenn ich mit Freunden zum ersten Mal Eishockey spiele, dann werde ich vor allem zum Profi im Schlittschuhfahren ... .

 

Zusammengefasst kann man sagen, dass jedes Spiel, bei dem die eigentliche Kompetenz über andere Anforderungen in den Hintergrund rückt, den Übergang zur unbewussten Kompetenz sehr beschleunigt und sichert. Voraussetzung ist jedoch, dass die Stufe der bewusste Kompetenz da war - ich also alle notwendigen Kompetenzen erfasst habe - zumindest als Erwachsener.

 

Viel Spaß beim Spielen egal ob im Seminar, in der Schule oder an der Uni!

 

 

Vielen Dank für's Teilen :-)

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Miriam (Montag, 15 Juli 2024 16:32)

    Liebe Iris
    Mit Spannung lese und speichere ich hier deine Beiträge zum Thema Lernen - vielen Dank fürs Teilen mit uns Lesern. Diesen Beitrag finde ich besonders toll, weil er mich ermutigt, meine Sprachlernenden noch mehr spielen zu lassen (*) und weil er mich an meine letzte Hausaufgabe (Kompetenz-Entwicklung) erinnert und mein dazu innerlich abgespeichertes Bild wieder hervorruft. :) (*Wenn die Lehrpläne nur mehr Flexibilität und Zeit zulassen würden...)

  • #2

    Iris (Dienstag, 16 Juli 2024 10:28)

    Das freut mich sehr, liebe Miriam, dass ich dich ein bisschen inspirieren konnte - ich merke immer wieder - auch bei Erwachsenen - dass nur kleine spielerische Elemente Großes bewirken können :-)